18. SONNTAG im Jahreskreis

Die Brotvermehrung. Eine merkwürdige Erzählung. Wussten Sie, dass diese Erzählung in den Evangelien sechs Mal vorkommt? Für die Evangelisten muss sie also besonders wichtig gewesen sein. Welche Botschaft an uns steckt dahinter? Ich sage mit Absicht „dahinter“, denn die Evangelisten wollten uns nicht an erster Stelle erzählen, was damals genau passiert ist, sondern sie wollten das, was passiert ist, deuten, interpretieren. Vordergründig geht es um Brot und physischen Hunger. Aber es steckt mehr dahinter, eine tiefere Bedeutung. Jesus will uns hier etwas sagen.

Bedenken wir einmal: Die größte Breite des Sees Genezareth, wo sich alles abspielt, beträgt zwölf Kilometer. Die Menschen haben gesehen, dass Jesus mit dem Boot zum gegenüberliegenden, östlichen Ufer des Sees fährt. Sie nehmen also einen gewaltigen, kilometerweiten Fußmarsch auf sich, um auf der Ufer-straße dorthin zu gelangen, wo Jesus ankommen wird. So groß ist ihr Interesse an ihm. Sie haben das Gefühl: Er hat ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Können Sie sich vorstellen, dass wir uns heute solche Mühe machen würden, um zu Jesus zu kommen? Ist er uns so wichtig? Haben wir das Gefühl, dass er uns noch etwas zu sagen hat?

Jesus sieht diese Menschen, die sich um ihn versammelt haben, und er hat Mitleid mit ihnen. Er spürt in ihnen eine tiefe Sehnsucht, ein ungestilltes Ver-langen, nicht nur nach Brot. Wirkt da nicht tief in uns allen eine innere Unruhe, eine Sehnsucht, ein tiefes Verlangen nach Erfüllung? Sind wir nicht immer, bewusst oder unbewusst, auf der Suche? Aber wonach?

Es ist komisch: Wir verlangen z.B. danach, bestimmte Dinge zu besitzen und setzen unsere ganze Energie dafür ein. Aber kaum haben wir es erworben, verschwindet das Gefühl der Freude darüber nach kurzer Zeit und wir sind schon wieder auf der Suche nach anderen Dingen. Werden wir getrieben?

Das ist nicht nur im materiellen Bereich so. Sogar Freundschaft und Liebe können schlussendlich nicht unseren tiefsten Wunsch gänzlich erfüllen. Selbst in einer gelungenen Beziehung bleibt eine letzte Einsamkeit und Fremdheit. Alle Freude, alles Glück bleibt vorläufig - weist weit über sich hinaus. Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche, der ein Atheist war, hat einmal gesagt: „Doch alle Lust - alles Verlangen - will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.“

Jesus will unsere tiefsten Sehnsüchte ansprechen und behauptet sogar, sie erfüllen zu können. Das Gebet das er über die fünf Brote und die zwei Fische ausspricht, ist fast gleich lautend mit den Segensworten Jesu über Brot und Wein beim Letzten Abendmahl: „Er blickte auf zum Himmel, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie ihnen.“ Werden wir nicht in jeder Eucharistiefeier daran erinnert? Will Jesus nicht auch unseren Lebenshunger sättigen?

„Er blickte auf zum Himmel.“ Was er tut, hat etwas mit dem „Himmel“, mit Gott zu tun. Mit fünf Broten und zwei Fischen macht er eine ganze Menschenmenge, fünftausend Männer, dazu noch Frauen und Kinder, satt. Zwölf Körbe bleiben übrig. Gott will Leben in Fülle schenken.

In der heutigen ersten Lesung sagt Gott: „Hört auf mich, dann werdet ihr leben!" Im Buch Deuteronomium (8,3) heißt es: "Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund!" Und Jesus sagt anderswo: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer von diesem Brot isst, wir nie mehr Hunger haben.“

Von Meister Eckhart, einem der großen Mystiker des Mittelalters, stammt der Spruch: „Gott, du hast uns auf dich hin geschaffen und unruhig ist unser Herz, bis es seine Ruhe findet in dir.“ Nur bei Gott wird unsere tiefste Lebenssehnsucht gestillt, nur bei ihm finden wir unsere Ruhe, letzte Erfüllung.

Aber nicht nur das. Jesus gibt das gebrochene Brot seinen Freunden und sagt zu ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Sie sollen das Wenige, das sie haben - fünf Brote und zwei Fische - mit den vielen teilen. Wir sollen die geistige Nahrung, die Jesus uns gibt, miteinander teilen, wie wenig wir auch haben.

Jesus ist gekommen, um unsere Sehnsucht, unseren Hunger nach mehr, zu stillen und er nimmt uns dabei in Anspruch. Das ist die Botschaft dieser Speisungsgeschichte. Erwarten auch wir, dass Jesus unsere tiefste Sehnsucht erfüllt?

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